Voller Dankbarkeit gedenken wir im Jahr unseres 90-jährigen Bestehens unserer Gründerin und langjährigen Vorsitzenden Marie Ubbelohde anlässlich der 60. Wiederkehr ihres Todestages am 15. Dezember 2016.

Bei der Gründung des Bundes ehemaliger Schülerinnen am 10. November 1926 wurde sie zur Vorsitzenden gewählt. Als ehemalige Schülerin (1892 bis 1900) und Lehrerin (seit 1910) unserer Schule besaß sie optimale Voraussetzungen für eine erfolgreiche Ausübung dieses Amtes, das sie dreißig Jahre lang bis zu ihrem Tode 1956 mit großem Engagement und unermüdlicher Tatkraft ausübte.

Fast vierzig Jahre lang bis zu ihrer Pensionierung 1949 wirkte sie als Sport-, Handarbeits- und Hauswirtschaftlehrerin an unserer Schule. Sie war eine sehr beliebte Lehrerin, neuen Entwicklungen gegenüber stets aufgeschlossen und unternahm mit ihren Schülerinnen regelmäßig Klassenfahrten. Nachdem sie 1928 die Ruderriege gegründet hatte, aus der sich der Schülerinnenruderverein entwickelte, verzahnten sich die Aktivitäten des Bundes ehemaliger Schülerinnen, des Schülerinnenrudervereins und der Schule auf das engste, auch Dank der besonderen Kontaktfähigkeit Ubbelohdes. Fast immer gab es gemeinsame Veranstaltungen, häufig beim Bootshaus oder in der Frauenschule.

Ubbelohde gelang es, die Mitgliederzahl von 24 bei der Gründung auf 1007 im Jahre 1954 zu steigern, der höchsten in der Geschichte unserer Vereinigung. Auf dieses Fundament, das sie während ihrer dreißigjährigen Vorstandstätigkeit gelegt hat, dürfen wir noch heute zurückgreifen. Noch immer stammen viele unserer Mitglieder aus der Zeit ihres Vorsitzes.

Unsere Gründerin und erste Vorsitzende war eine beeindruckende Persönlichkeit. Das wird auch aus den Mitteilungen der Jahre 1935 bis 1950 sehr deutlich, die wir in unserer Jubiläumsausgabe vom Mai 2016 nachgedruckt haben. Ubbelohde zeichnet ein Bild der schwierigen wirtschaftlichen Situation bereits in der Vorkriegszeit und der sich ständig verschlechternden Lage in den Kriegs- und Nachkriegsjahren. Wir erfahren von Problemen bei der Aufbringung des Schulgeldes, Einschränkungen des Schulbetriebes wegen Brennstoffmangels, Unterricht in verschiedenen Privaträumen und im Johanneum, häufigen Unterrichtsausfällen, Ernteeinsätzen, Altmaterial- und Wollsammlungen, Überfüllung der Klassen durch Ausgebombte, Flüchtlinge und Vertriebene, fehlendem Schreibmaterial, fehlendem Turnzeug, Überschwemmungen am Bootshaus, fehlendem Baumaterial, fehlenden Handwerkern…. Um die immer ernster werdende Situation der Schülerinnen, aber auch der Schule und des Schülerinnenrudervereins zu lindern, wendet sich Ubbelohde unermüdlich an alle Ehemaligen, wohlwissend, dass diese selbst zunehmend Not leiden. Wie ein roter Faden zieht sich die Bitte um Zahlung des Beitrages und um Spenden durch die Texte. Die noch abseits stehenden Ehemaligen fordert sie zum Beitritt auf, um über die Steigerung der Mitgliederzahl dringend benötigte finanzielle Mittel einzuwerben. Anschaulich und überzeugend, beseelt von dem Willen zu helfen, wird Ubbelohde zur Chronistin der Entwicklung an der Wilhelm-Raabe-Schule, beim Schülerinnenruderverein und beim Bund ehemaliger Schülerinnen, aber auch der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Probleme. Immer wieder spricht sie allen Ehemaligen Mut, Ausdauer und Glaubenszuversicht in der schweren Kriegszeit zu, in der Ehemänner, Väter, Söhne und Brüder von der Front nicht zurückkehren. Beim Lesen der herzlich, natürlich und offen, aber auch eindringlich und fordernd geschriebenen Texte entsteht ein Bild von der starken Persönlichkeit unserer ersten Vorsitzenden.

Ich selbst habe in der 5. Klasse noch Sportunterricht bei Ubbelohde gehabt und sie nach ihrer Pensionierung bei Bootstaufen und Ruderbällen in Aktion erlebt. Sie besaß eine große Ausstrahlung und war auch in Ruhestand noch voller Dynamik und Tatendrang. Wir waren sehr  betroffen, als sie 1956 in Alter von 72 Jahren verstarb. Die beeindruckende Trauerfeier in der Aula am 19. Dezember 1956, bei der wir mit dem Schulchor sangen und Frau Hasenclever ihre Leistungen und ihr Engagement würdigte, ist für mich eine prägende Erinnerung.

Marie Ubbelohde verdanken wir in besonderer Weise, dass wir in diesem Jahr auf eine 90-jährige Geschichte zurückblicken dürfen. Ihr uneigennütziges Wirken zum Wohle der Wilhelm-Raabe-Schule und des Bundes ehemaliger Schülerinnen wird für uns immer Richtschnur des Handelns bleiben.

Dr. Luise Reinhardt-Drischler